Universal-Genies

„Was bin ich?“ hieß die legendäre, heitere Berufe-Rate-Show mit Robert Lembke. In unserer Kindheit war sie Fixpunkt im Fernsehprogramm – als Fernsehen noch ein Familienereignis war. Das Rate-Team sollte den Beruf des Gastes anhand einer für den Beruf typischen Handbewegung und geschlossener Ja-Nein-Fragen erraten.
Welche Handbewegung hätte das Universal-Genie Leonardo da Vinci gemacht, fragen wir uns? Auch wir sind heute Universal-Genies: Längst sind wir neben PR-Beraterinnen und Müttern auch Kassiererinnen, Bankangestellte, Tankwartinnen und Kellnerinnen – mal mehr, mal weniger freiwillig tun wir`s also selbst. Zum Selbst-Check-in werden wir neuerdings auch im Zug ermutigt – mit Bonuspunkten. Und obwohl wir erfahrene Eincheckerinnen bei Hotels und Flügen sind, die wir uns zuvor als „Reisebüromitarbeiterinnen“ selbst gebucht haben, fragen wir uns, wo all das für uns (lustlosen) Universal-Genies – die wir mehr und mehr Arbeiten von immerhin Lehrberufen tätigen, für die wir uns nie berufen fühlten – noch hinführt. Wir machen dieser Entwicklung Vorwürfe, nicht nur für die Galerie, sondern ernst gemeinte. Hej, wir wollen im schwedischen Einrichtungshaus Kassierer*innen und Wohnideen finden, damit die unser Zuhause schöner machen. Zumal wir auch vor den Selbstbedienungskassen Schlange stehen. Zeit dafür hätten wir angeblich laut isländischer Studie ausreichend, gäbe es eine 4-Tage-Woche. Den freien, zusätzlich gewonnen Tag haben wir als selbstkritische Konstruktivistinnen beileibe längst mit mannigfaltigen Recherchen für dies und das und mehr verspielt. Weil wir reflektieren, was wir brauchen. Den klaren Nutzen Künstlicher Intelligenz und der Digitalisierung, den Unternehmen gerne postulieren, stellen wir heute einmal mehr der Menschlichkeit gegenüber. Ungern verzichten wir nämlich auf einen ortskundigen Menschen an der Rezeption, der ein gutes Lokal empfehlen kann. Nur mit Widerwillen sagen wir der Zugbegleitung Ade, die dafür sorgt, dass der Anschlusszug wartet und über Umsteigemöglichkeiten aufklärt. Und schon gar nicht wollen wir die fundierte Face-to-Face-Beratung im Handel und die Supermarktkraft, die sich mit Strichcodes von schlecht gepickten Etiketten abmüht, aufgeben. Aufgegeben werden Briefe. Mit Briefmarken, die eine Praktikantin kürzlich googelte, als sie zur Post „geschickt“ wurde, um einen Bogen dieser Wertzeichen einzukaufen. Womit wir definitiv noch tiefer im Thema wären. Friedrich Schiller meinte einst, „wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“. Er war ein bekannter Arzt und Poet, aber bekanntlich auch Dramatiker. In diesem Sinne: Wir checken gerne alles, aber nicht alles selbst.

Foto © IPR

Von | 2022-10-17T12:54:02+00:00 17. Oktober 2022|Tags: |