Nicht nicht oder doch nicht?

Während ich in der Mittagspause meine Längen im Schwimmbad ziehe und über das Meeting vom Vormittag sinniere, in dem unser Kunde erklärte, dass er nicht unzufrieden mit der Geschäftsentwicklung sei, höre ich die Schwimmtrainerin die Kinder in der Nachbarbahn ermahnen: „Wir laufen nicht im Schwimmbad und wir gehen nicht unaufgefordert ins Wasser.“ Obwohl bekannt und mittels Elektrodentests auf der Kopfhaut belegt ist, dass unser Gehirn Negationen wie „nicht“ oder „kein“ schlechter verarbeiten kann bzw. komplexer verarbeiten muss, sind sie sehr gebräuchlich. Der Kabarettist Klaus Eckel amüsierte sich in einer Kurier-Kolumne über die österreichische Besonderheit, sogar Komplimente negativ zu formulieren und verwies auf „der is ned deppad“ als Bezeichnung für Genie. In journalistischen Fortbildungen ist angekommen, dass jedes unnötige „nicht“ oder „kein“ die Lese- bzw. Aufnahmegeschwindigkeit verlangsamt. Es wird gelehrt nicht „nein“ zu sagen, wenn man „ja“ sagen kann. Aussagen sollten positiv und direkt formuliert werden, weil „nicht in Rom“ überall sonst auf der Welt sein kann. Aber die Verneinung kann im Journalismus richtig platziert, Spannung erzeugen. So machen die Worte „Seine Tricks waren psychologisch nicht uninteressant“ mehr Lust aufs Weiterlesen als „Seine Tricks waren psychologisch interessant“. Gelehrt wurde uns im Studium darüber hinaus eindringlich die Devise „Only bad news are good news“, wobei der Medienpsychologe Peter Vitouch anmerkt, dass dieser Spruch wohl falsch interpretiert wird. Neben dem Evolutionshintergrund und dem überlebensnotwendigen Wissen ob Gefahr droht, ginge es um die Sensation, die sich besser verkaufen lässt. Die Nachricht darf nicht der Normalität entsprechen, der Mann soll also den Hund beißen und nicht umgekehrt. Ich stoße in meiner Recherche immer wieder darauf: Nicht erreichte Ziele scheinen interessanter, Aufmerksamkeit auf einen Mangel gelenkt, schafft neue Bedürfnisse. Schreibseminare lehren, dass positiv formulierte Aussagen mehr bewegen, motivierender, höflicher und bestimmter sind, ja sogar Stärke widerspiegeln. Tatsächlich klingt „Das erledige ich gerne für Sie“ angenehmer als „Kein Problem“. Prof. Dr. Rainer Greifeneder und Dr. Mariela Jaffé von der Abteilung Sozialpsychologie der Universität Basel untersuchten in mehreren Studien wie sogenannte Wahrheitsurteile zustande kommen und statistische Aussagen wahrgenommen werden. Das Ergebnis: Negative Aussagen werden eher als wahr eingestuft als positive, „nicht zufrieden“ ist wirksamer als „unzufrieden“. Laut Studie ist also die Aussage „61 Prozent sind mit ihrem Aussehen nicht zufrieden“ glaubhafter als „39 Prozent der deutschen Frauen sind mit ihrem Aussehen zufrieden“. Warum das so ist, ist noch nicht eindeutig belegt. Gründe könnten sein, dass wir negative Nachrichten eher gewohnt sind, diese Missstände aufzeigen, die es erst zu nehmen und zu beheben gilt. Aus der Grundlagenforschung ist außerdem bekannt, dass negative Äußerungen schwerer wiegen als positive: Einer einzelnen negativen Kritik misst man größeres Gewicht bei als vielen lobenden Rückmeldungen, die mittunter der Manipulation verdächtigt werden. Dennoch raten Jaffé und Vitouch dazu, bewusst auch mal positiv zu formulieren. Wir schließen uns dem an und wollen das künftig mehr beherzigen.

Foto © Ausschnitt Buchcover „Bitte nicht lesen“ von Matt Shaw

 

Von | 2023-04-26T12:49:21+00:00 25. April 2023|Tags: |